Ende des 19. Jahrhunderts war das Eisenbahnnetz im Deutschen Reich in seinen wichtigsten Grundzügen fertig gestellt. Die abgelegenen Landesteile konnten dabei oft nicht angemessen berücksichtigt werden, erhofften sich aber zur wirtschaftlichen Entwicklung auch einen Bahnanschluss. In Preußen bekam die Bahnbautätigkeit ab 1892 neue Impulse. Am 28. Juli dieses Jahres trat das so genannte preußische Kleinbahngesetz in Kraft, das den Bau einfacher und preisgünstiger Eisenbahnen verschiedener Spurweiten regelte und erleichterte.
So entstand zwischen 1895 und 1899 auch auf der Insel Rügen ein umfangreiches Kleinbahnnetz mit einer Spurweite von 750 mm. 1918 wiesen die Kleinbahnstrecken der Rügensche Kleinbahnen Aktiengesellschaft ( Rü.K.B. ) die größte Ausdehnung mit fast 100 km Streckenlänge auf. Allerdings wurde die rein militärisch motivierte und erst 1918 eröffnete Strecke zur Marinefliegerstation auf dem Bug bei Dranske mit dem Ende des ersten Weltkriegs schon wieder überflüssig und 1926 ganz aufgegeben.
Die Strecke Putbus – Göhren kristallisierte sich sofort als die wirtschaftlichste Strecke unter den Linien heraus. Die Firma Lenz & Co, die alle Strecken erbaute und bis 1910 auch betrieb, hatte die Bäderstrecke zu knapp kalkuliert und musste sofort mit Erweiterungen der Infrastruktur und Beschaffung neuer und größerer Fahrzeuge reagieren. Die Bäderstrecke hatte bald kaum noch etwas mit beschaulichem Kleinbahnbetrieb gemein. Lange und oft überlastete Personenzüge mit wenigen mitgeführten Güterwagen bestimmten das Bild. Rufe nach Erweiterung durch Umspurung auf Regelspur wurden laut, wurden aber, zum Glück für uns heute, nie erhört.
Die Betreiber wechselten 1910. Um die pommerschen Kleinbahnbetriebe rationeller zu betreiben, wurde die Kleinbahnabteilung des Provinzialverbandes von Pommern gegründet, die aber 1920 schon wieder aufgelöst wurde und fortan durch die Vereinigung vorpommerscher Kleinbahnen GmbH ersetzt wurde. Die vorerst letzte große Blütezeit unserer Strecke endete mit Kriegsbeginn 1914. Die Nachkriegszeit und vor allem die Inflationszeit stellte unsere Kleinbahn vor die bis dahin wohl schwersten Herausforderungen. Das ging so weit, dass die Verwaltung die Naturalwirtschaft einführte. Notgeld wurde gegen entsprechende Getreidemengen ausgegeben und zur Währung erhoben. Durch diese Maßnahme und strikte Sparsamkeit konnten die Kleinbahnbetriebe aber gerettet werden und sich wieder erholen. Nach dem erneuten wirtschaftlichen Einbruch der Weltwirtschaftskrise begann die Zeit des Nationalsozialismus.
Die Nazis in Pommern verfolgten bald das Ziel, die vielen eigenständigen Kleinbahnbetriebe nicht nur gemeinsam zu betreiben, sondern auch das Eigentum an den Bahnen zu erlangen. Nachdem 1937 die Landesbahndirektion Pommern die VvK ersetzte, wurde es 1940 mit der Gründung der Pommerschen Landesbahnen GmbH ernst. Alle Bahnen wurden enteignet und in der PLB zusammengefasst, die nun Betriebsführung und Eigentum innehatte. Wegen des Krieges änderte sich aber zunächst auf unserer Bäderbahn nicht viel. Drastische Verkehrseinschränkungen, die mit Kriegsende nach der Sprengung des Rügendamms fast zur Einstellung des Betriebs führten, machten die Betriebsführung extrem schwierig. Immerhin verhinderte die schlechte Erreichbarkeit der Insel aber die Demontage der Gleisanlagen als Reparation für die Sowjetunion.
Die sowjetische Besatzungsmacht forderte bald von der Deutschen Reichsbahn, alle öffentlichen Eisenbahnstrecken in der SBZ selbst zu betreiben. Darum wurde unsere Strecke ab 1949 von der Deutschen Reichsbahn betrieben. Ab Mitte der 50er Jahre setzte der Massentourismus auf Rügen ein und unsere Strecke Putbus – Göhren wurde zur wichtigsten Verkehrsader in die Badeorte Binz, Sellin, Baabe und Göhren.
In dieser Zeit suchten auch viele Bergarbeiter aus dem sächsischen Uranbergbau Erholung in Binz. Sie prägten in den 50er Jahren den Namen „Rasender Roland“, der heute weit über die Grenzen Deutschlands hinaus Synonym für unsere Eisenbahn ist. Die genaue Entstehungsgeschichte dieses Namens konnte bisher noch nicht rekonstruiert werden. Die überlangen Züge dürften bei der schlechten Lokkohle der Nachkriegsjahre aber alles andere als gerast sein. Ob der Name Roland willkürlich gewählt wurde oder auf einer Figur aus Bergmannsbräuchen basiert, konnte ebenfalls nicht zweifelsfrei ergründet werden.
Die Reichsbahn ergänzte ab 1952 dem Fahrzeugpark durch Loks und Wagen, vor allem sächsischer Schmalspurstrecken. So ist die Mehrzahl der heute eingesetzten Personenwagen sächsischen Ursprungs.
Dem allgemeinen Trend folgend, sollte aber der Rasende Roland 1976 seine letzte Reise antreten. Erst ab 1974 konnten Eisenbahner und Eisenbahnfreunde in letzter Minute ein Umdenken erreichen, das zum Erhalt unserer Bahn führte. Ab 1976 mussten Gleisanlagen und Fahrzeuge nun wieder instand gesetzt werden, die zuletzt arg vernachlässigt wurden.
Der relativ schwache Güterverkehr wurde aber schon 1967 eingestellt und die Beförderung des Expressgutes 1975 auf die Straße verlagert. Unter Obhut der Reichsbahn ging die Strecke 1994 in der DBAG auf. Die hatte an solchen Eisenbahnen aber gar kein Interesse. Für den Rasenden Roland gab es nur die Alternative Privatisierung. So übernahm die neu gegründete Rügensche Kleinbahn GmbH ab 1996 die Betriebsführung und bald auch das Eigentum am Rasenden Roland. Ab 1998 wurden umfangreiche Investitionen nötig. Die Gleisanlagen, die ab 1976 mit gebrauchtem Material saniert wurden und die Fahrzeuge waren verschlissen.
Das interessanteste Vorhaben war aber die Verlängerung unserer Strecke nach Lauterbach. Seit 1999 erreichen unsere Schmalspurzüge im Wechsel mit den Regelspurzügen aus Bergen den Molenkopf in Lauterbach. Seit März 2008 führt die Eisenbahn-Bau- und Betriebsgesellschaft Pressnitztalbahn mbH aus dem sächsischen Jöhstadt den Betrieb unter dem Namen „Rügensche Bäderbahn“. Sofort wurde das zuletzt ins Stocken geratene Investitionsprogramm wieder aufgenommen. So dampft der Roland nun wieder in eine gesicherte Zukunft.
Autor Achim Rickelt
Übersicht zur historischen Entwicklung
26.02.1895 Gründung „Rügensche Kleinbahn – Aktiengesellschaft“ (Rü.K.B.)
21.07.1895 Eröffnung Putbus – Binz (10,8 km)
23.05.1896 Eröffnung Binz – Sellin West (7,1 km)
03.07.1896 Eröffnung Sellin West – Sellin Ost (1,2 km)
04.07.1896 Eröffnung Putbus – Altefähr (35,3 km)
21.12.1896 Eröffnung Bergen – Altenkirchen (37,9 km)
13.10.1899 Eröffnung Sellin Ost - Göhren (5,0 km)
01.04.1910 Übernahme der Betriebsführung durch die Kleinbahnabteilung des Provinzialverbandes von Pommern
01.04.1920 Übernahme der Betriebsführung durch die Vereinigung vorpommerscher Kleinbahnen GmbH
01.04.1937 Übernahme der Betriebsführung durch die Landesbahndirektion Pommern
01.01.1940 Übernahme durch Pommersche Landesbahn
01.04.1949 Übernahme der Betriebsführung durch Deutsche Reichsbahn (Rbd Greifswald, Rba Stralsund)
03.12.1967 Stilllegung Altefähr – Putbus
11.12.1967 Einstellung Güterverkehr Putbus – Göhren
10.09.1968 Stilllegung Fährhof – Altenkirchen
18.12.1969 Stilllegung Bergen (Rügen) Ost – Wittower Fähre (beschränkter Wagenladungsverkehr weiterhin bis Trent)
26.09.1971 Stilllegung Bergen (Rügen) Ost – Trent
12.03.1976 Erklärung der Strecke Putbus – Göhren zum „Denkmal der Produktions- und Verkehrsgeschichte“ durch Rat des Bezirkes Rostock
22.07.1995 Rückgabe an Landkreis Rügen
01.01.1996 Privatisierung – RüKB als neuer Betreiber
28.05.1999 Eröffnung Dreischienengleis Putbus – Lauterbach Mole (2,6 km)
18.03.2008 Aufnahme des Übergangsverkehrs durch PRESS/RüBB
01.06.2008 Übergang der Infrastrukturverantwortung auf PRESS/RüBB